Das Beste kommt zum Schluss
Zwei Abende, neun Gruppen – und ein fantastisches Finale:
Das MIBNIGHT Jazzfestival in der Schwankhalle

zeigt alle Facetten des Genres
von Christian Emigholz

Es ist nicht einfach, in ein zweitägiges Festival die stilistische Bandbreite des Jazz hineinzupacken. Die Bremer Jazzerhaben es jetzt mit ihrem MIBNIGHT Jazzfestival in der Schwankhalle in verblüffender Weise geschafft – bis hin zur Bernd Lunnon Park, die selbst bei großzügiger Auslegung des Begriffs Jazz damit eigentlich nichts zu tun hat, sondern eher dem Soul-Pop-Lager zuzuschlagen ist.

Zur Eröffnung spielte das Pär Lammers Trio, eine klassische Gruppe, die sich aber nicht um Gepflogenheiten kümmert, sondern unverdrossen nach neuen Möglichkeiten einer ausgewogenen Kommunikation im Trioverbund sucht. Dabei setzt Pianist Pär Lammers auf schöne Melodien, die gelegentlich dekonstruiert werden.

Das Günther Späth Quartett ist eine klassische Jazzband mit Saxofon, Piano, Bass, Schlagzeug. Das Ensemble befasst sich seitvielen Jahren mit Modern Jazz und ist fabelhaft eingespielt: Hier saß jeder Ton, stimmte jedes Solo, fand sich auch musikalischer Witz, wie bei dem Stück „Besser als gestern, schlechter als morgen", das von dem Pianisten Jens Schöwing stammt.

Und noch ein Klassiker: Squakk wecken mit Posaune, Bass und Schlagzeug im wild ineinander verstrickten Getümmel Freejazz-Erinnerungen, spielten aber ebenso energisch und imposant strikt notierte Passagen. Im Bereich von Free und Freier Improvisation bewegt sich auch das Saxofonquartett Lignum, in dem das vierte Saxofon eine mit Saxofonmundstück versehene Querflöte (nun längs geblasen) ist. Die Gruppe knüpft unüberhörbar an die Ideen des Rova Saxophone Quartet an.

Sommergäste wiederum kombinieren den freien Fluss der Ideen mit dem Tanz von Fine Kwiatkowski. Ihre kreatürlichen Körperbiegungen harmonierten perfekt mit den auf- und abschwellenden, dabei wild wuchernden Sounds von Lap-Steel-Gitarre, Elektronik, Bass und Schlagzeug. Eher der Ethnojazz-Ecke zuzuschlagen sind die sechs Musiker von Franks Farm: Wuchtige Afro-Beats wurden mit kraftvollen Improvisationen zu fröhlich puckernden, auch schon mal dramatischen Stücken aufbereitet. Einen ganz Aspekt verfolgt das Pariser Quintett Rockingchair: Hier geht es um die Auseinandersetzung von real gespielten Klängen mit elektronischen (teilweise aber auch live erzeugten) Sounds. Ein Schaukelstuhl – wie der Name verheißt – war indes nicht das Resultat, eher ein furios rockender Schleudersitz, in dem die famosen Musiker nie den Halt verloren.

Nun aber eine Hymne! Das Beste kam nämlich zum Schluss. Die 18-köpfige Ruhrpott-Crew The Dorf jagte mit Vollgas die Jazz-Sau durch selbiges. Diese Band ist ein musikalisch sensationelles Unternehmen. Angetrieben von dem wie ein Löwenbändiger herumhüpfenden Jan Klare („Airmovement" nennt er sein Dirigat), der auch für die Kompositionen verantwortlich ist, fuhr dieses scheinbar wahllos aus allen möglichen Instrumentengruppen bestehende Orchester Attacke auf Attacke: Krachlaut, mit überbordender Spiellaune, jeder Menge Frechheit (so lustvoll und lustig wurde Beethovens Schicksalsmotiv selten interpretiert) und überschäumendem Witz (zwei E-Gitarristen, die ohne Verstärkung herumzirpen müssen) ist diese Band schlicht eine Offenbarung – fast zu schön, um wahr zu sein. Ein fantastisches Finale!   
Weser-Kurier, 31.10.2011