Von ruhigen Reisen ins Innere

bis zur improvisierten Kochshow
Das MIBNIGHT Jazzfestival in der Schwankhalle

zeigte viele Facetten des Jazz auf
Von Christian Emigholz

Zehn Bands an zwei Abenden, das ist eine nicht so kleine Herausforderung, die die Musikerinitiative Bremen mit ihrem MIBNIGHT Jazzfestival an den Jazzhörer stellte, denn an beiden Abenden gab es nahezu pausenlos jeweils vier Stunden Jazz in seinen unterschiedlichen Spielformen. Waren im einen Saal der Schwankhalle die letzten Töne noch nicht verklungen, hatte im anderen schon die nächste Band begonnen. Schlecht ist das System nicht, schließlich hat jeder die Freiheit, nach eigenem Gusto auszuwählen, und auch mal zu pausieren.

Mit einer CD-Vorstellung begann die Zwei-Tage-Reise: Streetscenes, das Sextett von Klaus Fey (Saxofon) und Christian Kappe (Trompete), hat nämlich gerade seine CD „2nd Hit“ aus dem Presswerk bekommen. Streetscenes setzt auf Verstärkung und elektronische Verfremdung, liebt einen knackigen Sound, der gelegentlich an den vielschichtig rumorenden Klangteppich von Weather Report denken lässt (sicher nicht zufällig heißt ein Titel „Zawinul“), aber immer wieder markige Groove-Signale in den Vordergrund schiebt. Bei Timeline kontrastierten arabische und südamerikanische Rhythmen von Rahmentrommel und Berimbau mit schwingenden, klar umrissenen Jazzstatements von Piano und Saxofon, wobei sich das Trio hier erstmalig mit viertem Mann am Kontrabass vorstellte, was dem Klangbild die rechte Abrundung gab. Mit dem Lucas Heidepriem Trio fand der erste Abend im Neuen Saal der Schwankhalle einen fast introvertierten Abschluss: Der Jazz des den Pianotrios klingt tastend, überaus sensitiv, und die fabelhafte Interaktion erinnert ans legendäre Bill Evans Trio. Den alten Saal hatten an diesem Abend die Freien Improvisatoren gebucht. Eine echte Überraschung war das deutsch-schwedische Pianotrio Schwatzkopf, das beherzt und ohne Scheu vor süffigen Melodien zu Werke ging, dabei phasenweise hohe energetische Schübe inszenierte, aber auch im Kleinzelligen zu überzeugen wusste. Melodisches stand bei Ulher-Metzger-Wörmann nicht auf dem Plan. Mit Klangtisch, verstärkter Pappe und verfremdeter Trompete stand hier die Geräuschauslotung im Vordergrund: mal leise knisternd, mal beherzt kratzend und schabend.

Am zweiten Abend traf zuerst das Duo Dietmar Kirstein & Eckhard Petri auf den japanischen, seit vielen Jahren in Bremen lebenden Trommelexperten Masakazu Nishimine. Mit präpariertem Klavier, prägnanten Saxofon-Kürzeln und dumpf grollenden Schlägen der japanischen Trommeln wurden Stücke Zappas und der drei Beteiligten ideenreich erforscht – ein fulminantes Trommelsolo inklusive. Mitreißend anschließend auch das Set des Quartetts von Claas Ueberschär. Der Hamburger Trompeter hat eine beeindruckende, technisch ausgereifte Band, die lässig wilde Exzesse ins melodische Spiel integriert. Weitaus ruhiger klang dagegen der Auftritt des Jens Schöwing Trios mit dem Rigaer Saxofonisten Artis Gaga. Dessen „lettisches Liederbuch“ ist ganz aufs Klangliche der Volkslieder ausgerichtet, was vom Pianotrio souverän umgesetzt wurde. Wenn man so will, um eine Kochshow mit Musikbegleitung ging es bei Kantapper: Uli Sobotta (Gitarre, Euphonium) briet einen Pfannkuchen, wozu Thomas Maos (Gitarre) und Steffen Moddrow (Schlagzeug) die passenden Klänge erfanden: Kochshows sind viel langweiliger als dieses mitunter kräftig rockende improvisierte Musiktheater, das als Farbe im Festival noch fehlte. Das Finale bestritt schließlich das Köln-Nürnberger Dreigestirn Fossile 3, und zwar rau, aber herzlich. Die Stücke des Trios tragen Comic-Kürzel-Titel, entsprechend kurz und knapp wurde auch formuliert, wobei der Jazz von Bassklarinette, Bass und Schlagzeug aber hochartifiziell ist.

 

Insgesamt ein rundum gelungenes Festival, das viele Facetten des aktuellen Jazz abgedeckt hat.  Weser-Kurier, 1.11.2010